SOMMER DER LACHENDEN KÜHE

Spaß und Trauer der Reise ohne Ziel

Gelungene Premiere gestern Abend im Theater


Von Hans Karweik, erschienen am 01.02.2013 Wolfsburger Nachrichten/Kultur Mitte-west. >>Link

Die Sauna ein letztes Mal angewärmt, die Suppe ein letztes Mal aufgewärmt; dann geht es los: Mit der Sprengung eines ganzen Bauernhofes. Irgendwo im Norden Finnlands, in den so endlosen Weiten der Wälder und Sümpfe. Der Bauer und seine Frau haben genug. Tavetti Rytkönen hat seinen Spaß. Er erinnert sich noch an den tapferen, erfolgreichen Winterkrieg von 1942, als das kleine Land der großen Roten Armee trotzte.

Nun geht es um die Normen der Europäischen Union, welche den finnischen Bauern das Leben schwer machen. Da sprengen sie den Hof. Ohne UN-Resolution, wie Edgar M. Böhlke als Erzähler anmerkt. Politische Kritik blitzt immer wieder offen auf in diesem Theaterspiel mit Feuer und Musik. Doch geht es in "Der Sommer der lachenden Kühe", in Norbert Kentrups Bühnenfassung von Arto Paasilinnas Roman, vor allem um die moderne Gesellschaft und ihren Umgang mit Demenzkranken.

Norbert Kentrup spielt den von dieser unheilbaren, das Gedächtnis auflösenden Krankheit Betroffenen. Leidend, das zeigt das Stück klar, ist er nicht unbedingt: Nur nachts, wenn ihn Beklemmungen überfallen, wenn auf der Hinterbühne des Theaters Wolfsburg grün-blaues Flackerlicht angeht. Dann ist er verzweifelt. Aber an Gedächtnisverlust Erkrankte geben ihre Schwächen "aus Starrsinn", wie Kentrup schildert, nicht zu.

Sie ähneln Goldfischen. 30 Sekunden zurück reicht das Gedächtnis eines Goldfisches, also entdeckt er zweimal je Minute die Welt neu. So die Aussage auf der Bühne, so die Welt des Tavetti Rytkönen. In diesen Entdeckungen kehrt seine Lebensfreude zurück. Wie ein Kind nimmt er den Spaß an. Mit großen Augen reagiert auf eine Begrüßung im Hotel: "Guten Abend, Herr Landvermessungsrat!" Serviler Ton, eilfertig gereichte Speisekarte - und ein sichtlich verblüffter, um seine frühere Identität nicht mehr wissender Landvermessungsrat.

Es sind diese kleinen Szenen, die das Stück zwei Stunden lang aushaltbar machen. Es ist witzig, lustig, überdreht. Es ist Komödie. Die Art, wie die Autofahrer auf den Mann reagieren, der sich mitten in der großen Stadt Helsinki auf der Kreuzung eine Krawatte zu binden versucht, wie der Notarzt nicht mehr weiß, dass er ein Mediziner ist, wie die Leute im Panzermuseum ...

Es ist aber auch eine Tragödie. Die Krankheit ist nicht mehr heilbar, am Ende ist Tavetti Rytkönen zerstört wie der Einsiedlerhof. Auch sein Sohn will ihn nicht, den Vater: "Was soll ich mit ihm machen?" fragt er Seppo Sorjonen (Navid Akhavan), den Taxifahrer. Der erweist sich als menschlich. Obgleich er den skurrilen Alten gern loswerden will, kümmert er sich doch um ihn, fährt ihn quer durch das skandinavische Land, riskiert dabei seinen Job. Demenz wirkt sich vor allem auf die Menschen aus, die damit umgehen müssen.

Die Inszenierung besticht durch die gelungene Mischung an Dramatik und Komik, gestärkt und verstärkt durch live auf dem Flügel exzellent gespielte Kompositionen von Florian Schwartz. Die drei Schauspieler wechseln rasch die Rollen zwischen szenischer, teils gespielter Erzählung und szenischer Darstellung; bewältigen en passant den spärlichen Requisitenwechsel und vermitteln vor allem einen Einblick in Verlauf und Bedeutung dieses immer häufiger auftretenden Gedächtnisverlustes.

Diese Aufführung gelingt auch, da drei kongeniale Schauspieler auftreten. Norbert Kentrup in einer glaubhaften Darstellung des Demenzkranken. Navid Akhavan spielt überzeugend den jungen, neugierigen, tiefes Mitgefühl und Gewissen zeigenden Taxifahrer, salopp und modisch gekleidet, modern und aufgeschlossen. Auch als Bäuerin ist er prima. Edgar M. Böhlke, einst Professor für Schauspielkunst in Frankfurt am Main, ist ein agiler, alle Emotionen leicht übersteigernder Erzähler und Darsteller. Nicht zuletzt durch ihn gewinnt diese Fahrt durch ein Land und eine Krankheit so sehr an Fahrt.

Starker Beifall schon zur Pause.

"Der Sommer der lachenden Kühe"

Tragikomödie von Norbert Kentrup nach dem Roman von Arto Paasilinna

Theater Wolfsburg, Hinterbühne

Montag, 4. Februar, 20 Uhr
Dienstag, 5. Februar, 20 Uhr

Regie und Musik: Florian Schwartz
Dramaturgie: Georg Kentrup
Bühnenbild/Kostüme: Sybill Möbius
Technik/Beleuchtung: John Burgess
Produktion: Shakespeare und Partner, Berlin und Theater Wolfsburg
Karten: Telefon (0 5361) 2673 38

>>zum Stück