Jeder Tag ist eine Insel

(Weserkurier 15. September 2002)
Bewegende Welturaufführung

Zum fünften Mal fanden dieses Jahr die Krebsinformationstage der Bremer Krebsgesellschaft statt, und zur guten Tradition gehört es mittlerweile, die Auseinandersetzung mit der Krankheit auch auf kultureller Ebene stattfinden zu lassen. Dieses Jahr erlebten die Zuschauer, die am Freitagabend in den Schütting gekommen waren, zudem eine Welturaufführung. Dagmar Papula , ehemals shakespeare-company und nun unter dem Banner "Shakespeare und Partner" unterwegs, las zusammen mit Michael Jagusch unter dem Motto "Jeder Tag ist eine Insel". Papula schlüpfte dabei in die Rolle einer Professorin, die erfährt, dass bei ihrem Mann ein tödlicher Gehirntumor gefunden worden ist. Jagusch dagegen verkörperte einen Studenten, bei dem die Diagnose Lymphdrüsen-Krebs lautet. Die beiden haben nichts miteinander zu tun - Papula und Jagusch lasen ihre Textpassagen als Collage, im ständigen Wechsel. Bei dem hoch bewegenden Vortrag wurde aber schnell klar, dass die Frau und der Mann sich zwar nicht kennen, aber mit derselben Frage fertig werden müssen: Was nun? Wochen, Monate, Jahre zwischen Hoffen und Resignation, im wahrsten Sinne zwischen Leben und Tod und zwischen alter und neuer Identität erlebten die Zuhörer mit. Einen lösenden Kontrapunkt zu dieser schweren Kost setzte am Anfang und am Ende der Lesung Regisseur Jürgen Kloth. Er spielte einen Mann, der seinen Krebs einfach weggelacht hat.

 

(DEWEZET Hameln)
Mittwoch, den 20.November 2002

"Jeder Tag ist eine Insel": Leben zwischen Hoffnung und Angst Diagnose Krebs: Szenische Lesung mit "Shakespeare und Partner" im TAB
Von Karin Rohr, Hameln.

Krebs, Die Diagnose trifft Kranke, Angehörige und Freunde wie ein Hammer. Nichts ist plötzlich mehr wie es war. Die ganze Welt erscheint in einem anderen Licht. Und Fragen über Fragen zermürben: Wie lange noch? Gibt es eine Chance? Reicht die Kraft für die grausame Chemo-Therapie? Jeder Moment wird kostbar. Und: "Jeder Tag ist eine Insel". So der Titel einer szenischen Lesung (Regie: Jürgen Kloth) mit Dagmar Papula, Michael Jagusch und Norbert Kentrup von "Shakespeare und Partner" am Montag im erstaunlich gut besuchten Hamelner TAB. Ein sensibles, verstörendes, angsteinflößendes Thema, dem Betroffene und Angehörige meist lieber aus dem Weg gehen. Im Kegel des Scheinwerferlichts, mitten unter den Zuschauern - ein Mann (Norbert Kentrup), der mit sich selbst spricht, immer wieder wie irre lacht. Krebs hatte er. Lacht. Der ist jetzt weg. Lacht. Vom Lachen. Obwohl das natürlich keine Thearapie ist, auf die man sich verlassen kann. Lacht.
Schwer verdaulicher Einstieg und Rahmen für das, was anschließend die eigentliche Lesung ausmacht: Zwei von der Diagnose Krebs betroffene Menschen, die unabhängig voneinander ihr Leben und ihre Gefühle schildern - der junge Jurastudent Michael (Michael Jagusch), den es mit 25 Jahren erwischt hat, und die Historikerin Gerda (Dagmar Papula), für deren Mann es keine Heilungschance gibt. Für Michael: Ein Leben zwischen Hoffen und Bangen, Hörsaal und Krankenhaus, Motivation und Resignation. Für Gerda: Die Konfrontation mit dem Abschiednehmen, das zermürbende Pendeln zwischen Trost spenden und eigener Trostlosigkeit. Heute: das Akzeptieren des Unabänderlichen - morgen: der verzweifelte Aufschrei über die Ungerechtigkeit in der Welt. Und während Gerda, zur Hilflosigkeit verdammt, dem Tod ihres Mannes entgegensieht, mit Gott und der Welt ringt und über den Kreislauf von Geburt-Leben-Tod sinniert, durchsteht Michael immer wieder die Tortur von Krankenhaus, Isolierstation und Chemo-Therapie, erlebt zwischendurch "normale" Zeiten, in denen alles überstanden scheint, sucht nach jedem Rückschlag nach neuen Inhalten. Sehnt sich nach Liebe. Braucht diese Liebe. Baut auf sie.
Die Liebe ist denn auch der Schlüssel zu dieser in der Interaktion der beiden Protagonisten immer schneller und dichter werdenden Lesung, die von Dagmar Papula aus authentischen und neu geschriebenden Texten zusammengestellt wurde. Um die alles umfassende, alles ertragende Liebe drehte sich in letzter Instanz diese zutiefst bewegende Lesung, die mit wenigen sparsamen Gesten auskam und von den eindringlichen Stimmen der Schauspieler lebte. Die Hoffnung, heißt es, stirbt zuletzt. Die Liebe bleibt.